15.05.2023 | 5 Minuten
von Michael Maurantonio

Programmatische Werbung: Herausforderungen bei der Zielgruppenansprache

Die Adressierbarkeit von Zielgruppen durch programmatische Werbeausspielung ist ein wichtiger Aspekt im Digital-Marketing, der es Werbetreibenden laut Werbeversprechen ermöglicht, „Anzeigen gezielt an bestimmte Zielgruppen auszuspielen und so die Effektivität von Werbekampagnen zu maximieren“. Allerdings gibt es bei diesem Ansatz auch Fallstricke, die sich auf die Wirksamkeit von Werbung auswirken können.

Ein großes Problem in diesem Zusammenhang ist die zunehmende Anzahl an Fake-Traffic im Online-Bereich, die laut einer Studie von CHEQ „The state of Fake Traffic (2023)“ mittlerweile ca. 40% des gesamten Online-Traffics ausmacht. Werbekampagnen auf Websites und Apps, die hauptsächlich von Bots besucht werden, sind dementsprechend nicht nur unwirksam, sondern auch reine Geldverschwendung. Ähnlich verhält es sich auch bei Audio-Streaming-Diensten, aber Audio war in der Vergangenheit aufgrund des im Vergleich zu Display und Video geringeren Volumens ein kleineres und daher weniger lukratives Ziel für Betrüger. Nichtsdestotrotz sobald ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage besteht, vor allem bei Kanälen mit hohem Engagement wie CTV und natürlich auch bei Audiokanälen, bietet sich eine Gelegenheit für Betrug und ungültigen Traffic.

Ein weiteres Problem ergibt sich durch die wachsende Nutzung von Adblockern, die es für Werbetreibende schwieriger macht, ihre Zielgruppen direkt zu erreichen und Werbekampagnen effektiv auszuspielen. Ein zusätzlicher Faktor, der die Adressierbarkeit von Zielgruppen beeinflusst, ist die Nutzung von Geräten, auf denen Drittanbietern der Zugriff auf bestimmte Daten eingeschränkt oder ganz untersagt wird. In Deutschland liegt zB. die Nutzung von mobilen iOS-Geräten bei ca. 40% (Statcounter, 2023). Mobile Endgeräte sind aber v.a. für Audio-Streaming-Dienste der grosse Wachstumstreiber.
Diese Probleme können dazu führen, dass Werbetreibende Schwierigkeiten haben, ihre Zielgruppen effektiv zu erreichen und Werbekampagnen erfolgreich auszuspielen. Werbetreibende und Agenturen müssen daher proaktiv Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass sie ihre Zielgruppen effektiv erreichen können.
Anzeigenbetrug auf Walled-Garden-Plattformen wie Meta, TikTok, YouTube usw. ist besonders schwer zu erkennen, da diese Plattformen (noch?) keine echte In-Ad-Analyse zulassen. Die einzige Möglichkeit, Anzeigenbetrug auf solchen Plattformen aufzudecken, besteht daher in der forensischen Analyse, d. h. durch Experten der Daten, die auf der Landingpage generiert werden. Bei Audio lassen nur wenige Anbieter ein sogenanntes 3rd-Party Tracking zu. Je nach Werbemittelformat setzen wir mit FouAnalytics entweder ein VAST-Tracking oder ein Pixel-Tracking ein, um auch die programmatische Auslieferung von Audio-Werbung zu analysieren.
Wie kann ein Analyseprozess aussehen
Werbeauftraggeber müssen mehr Verantwortung übernehmen und die Leistung der Kampagnen in Eigenregie genauer überwachen.

 

Wie könnte dieser Prozess aussehen

Die erste Frage, die sich jedes Unternehmen stellen sollte, das auf programmatische Werbung setzt, ist, wo werden meine Werbemittel ausgeliefert und eingesetzt. Hat man alle Seiten und Anbieter überprüft und nur jene berücksichtigt, die Mindestanforderungen aus Marken- und Kampagnensicht erfüllen, sollte man sich mit der Analyse der ads.txt Einträge vertraut machen, die aber aktuell nur auf Plattformen für Display- und Video-Werbung eingesetzt werden. Für Apps kommt der App-Ads.txt Standard zum Einsatz. Manche dubiose Seitenbetreiber oder Marktplätze machen unvollständige oder falsche Angaben in den ads.txt [1] (oder app-ads.txt) bzw. bei Vermarktern in dazugehörenden sellers.json [2] Dateien.

Hat man eine erste Anbieter-Liste ermittelt, sollt man diese einem Brand-Value-Check unterziehen. Seit 2019 analysieren wir Seiten hinsichtlich Besitzverhältnisse, Finanzierungsquellen, Vernetzungen und Verifizierbarkeit ihrer Inhalte. Seitdem haben wir über 200’000 Seiten forensisch überprüft und führen unsere eigene Site-Liste mit über 2000 Webseiten, die wir als problematisch kennzeichnen. Bei Streaming-Plattformen ist dies etwas komplexer, da sie meist nur als Aggregatoren von Audio-Inhalten agieren, demnach die Analyse auf Content-Ebene stattfinden muss. Im Januar 2022 schrieben 270 Wissenschaftler, Ärzte und Professoren einen offenen Brief an Spotify, in dem sie ihre Besorgnis über „falsche und gesellschaftlich schädliche Behauptungen“ in The Joe Rogan Experience zum Ausdruck brachten und Spotify aufforderten, „ein klares und öffentliches Statement zur Mäßigung von Fehlinformationen auf seiner Plattform einzuführen“. Notabene: Spotify hatte sich geweigert, (nur) 42 Episoden des Podcast auszustrahlen, als sie die Exklusivrechte erwarben. Spotify meinte, sie hätten sich bilateral mit Rogan über dessen Verwendung einer rassistisch unsensiblen Sprache ausgetauscht. Die BBC [3] hatte 2022 vier Behauptungen aus Rogans Spotify-Podcast auf ihre Richtigkeit überprüft. Die Ergebnisse sind eindeutig. Darum ist unsere Datenbank nicht statisch, sondern wird monatlich ergänzt oder adaptiert.  

Um also in Erfahrung zu bringen, ob Werbung wirklich auf den Seiten und Apps ausgespielt wird, die man akribisch selektiert hat, benötigt man Analyse-Prozesse und -Tools, die alle Fraud-Techniken erfassen [4] , diese nach erfolgter Werbeauslieferung messen können und zudem vor Angriffen sicher sind. Wir arbeiten seit 2014 mit FouAnalytics vom bekannten Adfraud-Researcher Dr. Augustine Fou. FouAnalytics hilft Analytikern dabei, sowohl den Traffic der Werbeauslieferung zu messen als auch jenen Traffic, der auf der Landingpage der Kampagne stattfindet.
Ob jene Seiten oder Apps bedient werden, die der Kunde wirklich gebucht hat, ermittelt FouAnalytics u.a. mittels ancestorOrigins-Analyse  [5] oder durch Messung der Auslieferung nach gewonnenem Bid.

Worin liegt der Benefit von manueller Analyse und wie gross ist der Aufwand?

Im folgenden Audit wurde die Display-Kampagne geprüft und als KPI für die Agentur lag das Hauptaugenmerk des Kunden auf Generierung von Leads (gelbe Kurve). Die Leads, 4248 an der Zahl, wurden nachweislich nur von Menschen (blau) generiert. Ausgeliefert wurden ca. 2 Mio. Adimpressions. Würde man die „leeren“, also ungültigen Ad-Impressions eliminieren, in rot die Bots und die in weiss die nicht ganz fertig gerendertern Banner, dann ergibt sich eine Steigerung der Performance um über 50% bei zudem geringerem Kampagnenbudget. 


Report aus FouAnalytics: in-Ad-Messung, Generierter Leads bei Subtraktion der „leeren“ Impressions.

Vergleicht man den Aufwand des Set-ups und der manuellen Analyse aller Kampagnenparameter, also der technischen Qualität einer Seite, der inhaltlichen Eignung einer Seite oder eines Netzwerkes mittels der Hilfe von Mediaforensikern, sowie der Traffic-Analyse sowohl in-Ad als auch on-Site, mit den jährlichen Kosten und den Verlusten, die durch falsche Auslieferung, Messung, Brandsafety und Adfraud entstehen, so erkennt man rasch der Vorteil von manueller Analyse vs. durch Black-Box-Tools erfolgter Filterung.

Wo keine Prozesse und keine Verantwortungen, da auch keine Konsequenzen

Wie bei allen Plan-Do-Check-Act Abläufen, sollte jedes Unternehmen klare interne Prozesse für Digitalkampagnen definieren und verabschieden, die auch die Must-haves für alle Digitalmarketing-Verträge beinhalten, wie zum Beispiel Viewabilty- oder Audibilty-Ziele etc. und die Konsequenzen, wenn Anti-Fraud und Anti-Desinformationsziele nicht erreicht werden. Also muss u.a. jeder Media-Plan mit der Media-Strategie und diese mit den Marken-/Unternehmenswerten gegengeprüft werden.

Wir empfehlen darum, eine vom Marketing unabhängige Controlling-Stelle zu schaffen, die die wichtigsten Punkte in ihrer Verantwortung durchsetzen kann.

 

 

[1] ads.txt (Authorized Digital Sellers) ist eine Initiative des IAB Technology Laboratory. Sie legt eine Textdatei fest, die Unternehmen auf ihren Webservern hosten können und in der die anderen Unternehmen aufgeführt sind, die zum Verkauf ihrer Werbeplätze berechtigt sind. Eine app-ads.txt-Datei ist eine Textdatei, die ein App-Entwickler in der Stammdomain seiner App-Website postet.

[2] Sellers. json ist ein vom IAB bereitgestellter Standard, der es den Werbekunden ermöglicht, die Unternehmen zu ermitteln und zu überprüfen, die entweder direkte Verkäufer oder Vermittler der ausgewählten digitalen Werbemöglichkeit sind, die gekauft werden soll. Dazu gehört die Überprüfung der Identität der Publisher, einschließlich des Namens, des Domainnamens und der Verkäufer-ID.

[3] https://www.bbc.com/news/60199614

[4] Wir erkennen mit FouAnalytics mehr als 20 verschiedene Fraud-Arten. Gängige technische Lösungen, die zur Verhinderung von Anzeigenbetrug eingesetzt werden, erfassen nur einen Teil der Impressions und analysieren in der Regel u.a. nur die Daten vor dem Bid . Viele Adverification-Anbieter konnten z. B. grundlegende IVT-Anomalien (IVT: invaldid traffic), Spoofing, Fake-Content etc. nicht erkennen.

[5] Die schreibgeschützte Eigenschaft ancestorOrigins der Schnittstelle Location ist eine statische DOMStringList, die in umgekehrter Reihenfolge die Ursprünge aller Vorgänger-Browsing-Kontexte des mit dem angegebenen Location-Objekt verbundenen Dokuments enthält. Man verwendet diesen String, um z. B. festzustellen, wo ein Dokument (Banner) in einem Frame einer Site ausgeliefert wird und auf welcher Seite es ausgeliefert wird.

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Über den Autor Michael Maurantonio

Medienexperte mit naturwissenschaftlichem Hintergrund und Fokus auf Kundenzufriedenheit, der seit 1997 im Bereich Marketing und Werbung tätig ist. Gründer von #StopFundingHateNow und Mitstreiter von Dr. Augustine Fou im Kampf gegen AdFraud. Seit 2011 selbstständiger Unternehmer und Berater für Schweizer KMUs und internationale Unternehmen. Mitglied der DigitalSherlocks des Atlantic Council: www.digitalsherlocks.org