19.04.2023 | 2 Minuten
von Martin Liss
Unternehmensberater

Eine Parabel (fast) ohne KI.

Dies ist eine wahre Geschichte. Sie wurde ohne die Hilfe von KI verfasst.

Mein Onkel war Metzgermeister. Er führte eine gutgehende Metzgerei im Ruhrgebiet. Während er sich meist hinten um Fleisch, Wurst und Bestellungen kümmerte, war seine Frau, meine Tante, mit 2-3 Mitarbeiterinnen (tatsächlich: Alle waren Frauen) vorne im Verkaufsraum. Zweimal pro Woche fuhr mein Onkel zum Schlachthof, um Ware zu kaufen. Manchmal schlachtete er auch selbst. Wie damals üblich wohnte man im selben Haus, über dem Laden. Am Wochenende wurde am Küchentisch die Abrechnung gemacht. Die Arbeit war anstrengend, aber die Geschäfte gingen gut, und man war, wer als die örtliche Metzgerfamilie – das Leben war schön, jahrzehntelang.

 

Eines Tages sollte etwa 300 Meter entfernt vom Haus meines Onkels ein Supermarkt entstehen – ein Supermarkt mit Personal an der Fleischtheke, persönlicher Bedienung, der gesamten Auswahl, einschließlich Partyservice. Ein direkter Angriff auf das Geschäft meines Onkels! Aber der Supermarkt tat noch mehr: Schon lange vor der Eröffnung bot man meinem Onkel an, die Fleisch- und Wurstwarenabteilung zu leiten. Ein gutes und sicheres Gehalt, geregelte Arbeitszeiten, ein paar Mitarbeiterinnen an der Theke – auf den ersten Blick kein schlechter Deal, und es hätte sich so viel doch gar nicht verändert.

 

Sie ahnen es: Mein Onkel lehnte ab. Vielleicht weil er seine Freiheit nicht aufgeben wollte, vielleicht weil ihm der Wechsel vom Inhaber zum Angestellten zu viel Veränderung war, vielleicht weil seine Eitelkeit es nicht zuließ, als gelernter und stolzer Metzgermeister in einer schnöden Supermarktkette zu arbeiten. Vielleicht auch, weil er tatsächlich das glaubte, was er allen sagte, die ihn fragten, warum er das Angebot nicht angenommen habe: „Was ich hier mache, das ist Handwerk, Leidenschaft und Kompetenz. Das hat mit dieser seelenlosen und maschinellen Massenware aus dem Supermarkt nichts zu tun. Das, was ich kann, das kann nur ich – und meine Qualität wird sich durchsetzen.“

 

Nun, es kam anders. Der Supermarkt hatte plötzlich auch Bio-Fleisch, die Verkäuferinnen waren freundlich und kompetent, die Party-Platten waren kreativ und lecker, die Preise waren attraktiv und natürlich bekamen die Kinder auch im Supermarkt bei jedem Besuch eine Scheibe Fleischwurst geschenkt.

 

Drei Jahre nach Eröffnung des Supermarktes musste mein Onkel schließen, das war vielleicht der bitterste Tag seines Lebens.

 

Die Moral von der Geschichte: Wenn etwas kommt, das größer ist als Du, dann ist die Frage nicht ob, sondern wie Du damit umgehst. Nostalgie, Eitelkeit oder Romantik sind dabei schlechte Ratgeber. Augenmaß, Offenheit und auch ein gerütteltes Maß an Pragmatismus können überlebenswichtig sein. Man muss echt nicht jeden Quatsch mitmachen, und schon gar nicht vom ersten Tage an. Aber wenn die Zahnpasta aus der Tube ist, dann geht sie nicht mehr rein. Und Technik wird immer besser, Computer werden immer stärker, künstliche Stimmen werden immer echter, die KI wird immer schlauer.

Die Frage ist nicht, ob das passiert, sondern wie wir damit umgehen.

 

Natürlich: Alternativ könnte man die Augen schließen und hoffen das Internet geht wieder weg. Oder Supermärkte.

 

Der Artikel war interessant?
Teile ihn mit deinem Netzwerk!

Über den Autor Martin Liss

Martin Liss ist Unternehmensberater und Audio-Unternehmer. Er ist unter anderem Mitinhaber der podcast360 GmbH und der Unternehmensberatung BUSCHMANN LISS.